Hermann von Pückler-Muskau
  Die Tiere

      Ich lebte mehrere Monate auf einem einsamen Jagdschlosse tief im Forste, mit keiner Gesellschaft als sechs Hunden, ebensoviel Pferden und einigen anderen Tieren. Eine Dame, der ich aus jenem Orte schrieb, und meinen Brief mit den Worten abbrach: Lebe wohl, ich muß jetzt meine Hunde Füttern, nahm dies sehr übel auf und machte mir mir bittere Vorwürfe über meine Hundeliebe.

Das Jagdschloss im Forst bei Weißwasser

      Darauf antwortete ich ihr folgendes:
      Warum soll ich die Hunde nicht lieben? Die Tiere verdienen in mancher Hinsicht mehr Liebe als Du und alle Menschen. Die Tiere sind göttlich, rein und unverfälscht; die Menschen nur menschlich, und selbst das nicht immer, Gott sei's geklagt. Denn sollen wir erst werden was sie schon sind — unschuldig.
      Über alles, was ich deshalb schon von ihnen gelernt, über die unbeschreibliche Liebenswürdigkeit, die gerade diese Unschuld ihnen gibt, könnte ich ein Buch schreiben. Ein wahres Vorbild für den Menschen aber ist besonders der Hund. Ich besitze einen Pudel, den ich zum Hofmeister meines Sohnes machen würde, wenn ich einen hätte. Einstweilen benutze ich ihn zu meiner eigenen Bildung. Wird es Dich nicht rühren, wenn ich dir folgenden trait von ihm erzähle?
Er hatte eine seltsame Zuneigung, eine wahre Leidenschaft für eine junge Katze gefaßt, die er bei Spaziergängen stundenlang im Maule mit sich herumtrug, und wo ein Ruhepunkt eintrat, behutsam absetzte, um mit ihr zu spielen. Beim Fressen nahm sie ihm stets die besten Bissen weg, ohne daß er sie daran hinderte.
       Die Katze starb und ward im Garten begraben. Mein Pudel zeigte den tiefsten Kummer, rührte kein Futter mehr an und heulte die ganze Nacht hindurch kläglich.
Wie erstaunte ich aber, als am nächsten Morgen der Pudel wieder mit der Katze im Maule erschien. Er hatte sie ausgegraben, und nur mit Gewalt konnte man sie ihm entreißen. —
       O wie rein, ohne alle Beimischung sind eure Tugenden o Tiere!  Treue Gehorsam, Mut, Geduld usw., wie vollständig ist alles bei euch ausgeprägt!  Fehler habt ihr eigentlich gar nicht. aber, was wir so nennen, etwa — Gefräßigkeit, Ungeniertheit, Eifersucht, Neid, Schelmerei, Diebs- und Raufsinn — alles wird bei euch, Tiere, wegewn seiner Natürlichkeit, anmutig.  Wenn ich z.B. wegen Unpäßlichkeit im Bette frühstücke und meine kleine Zeniere, ein Windspiel von Friedrich des Großen geschichtlicher Rasse, wie ein Pfeil hereigeschossen kommt, mit einem Satz aufs Bett fliegt, und mit der Schnelligkeit einer Biene, die aus einer Rose nippt, im Fluge die Haut vom Rahmtöpfchen stiehlt, und mit denselben Sprunge auch schon wieder die äußerste Ecke des Bettes erreicht hat, wo sie, sich demütig niederkauernd, um Verzeihung fleht und mich dazu mit so schalkhaft blinzelnden Äuglein, die wie Sterne funkeln, komisch vestohlen anschielt — so behaupte ich, daß das mutwilligste Mädchen nicht lieblicher und artiger scherzen könne.   Oder wenn ich reite und mein riesenmäßiger Neufundländer scheinbar unbefangen, neben mir hertrabt; jetzt aber plötzlich quer über den Weg einen Löwensprung von fünf Fuß Höhe um mein Pferd en passant spielend bei der Nase zu packen; dieses erschrocken zurückfahrend, aufbäumt, und ihn dann entrüstet schelte, er jedoch seelenvergnügt über den angerichteten Unfug, mir nur die losesten Blicke zuwirft und frohlockend darüber bellt, mich so angeführt zu haben, während er im Gefühl seiner Sicherheit (da ich ja ihm vom Pferde aus nichts anhaben kann) höchst glückselig, mit lang von sich gestrecktem Schweife, um mich her karakolliert — so kann ich manchmal so herzlich über ihn lachen, daß ich fast meinen Sitz auf dem Pferde zu behalten Mühe habe, und doch notgedrungen mir gestehen muß: das Menschenspäße dieser Art zehnmal plumper gestalten wurden. Noch unterhaltener vielleit sind die possierlichen Kunststücke und Luftsprünge, die meine seiden-haarige Hündin mit ihren Kleinen anstellt, wenn sie ihnen den ersten Unterricht im Laufen gibt, und nachher so dankbar mir die Hände leckt, daß ich ihr die Zeit dazu gelassen.
      Doch um von den Hunden nicht zu viel zu sagen, gehe ich zu einem zahmen Kranich über, einem ganz sonderbaren Kautz, der unter andern, wenn er hungrig ist, selbst an der Küchentüre so lange klingelt, bis man ihm etwas zu essen bringt, bei dessen Tanzen aber gewiß kein Mensch ernsthaft bleiben kann. Ist er gut gelaunt, so begleitet er mich oft bis an die Parkgrenze, fortwährend einen unermüdlichen Grotesktänzer abgebend. Man wird, wie bei Hoffmanns Erzählungen, vom Komischen in das Phantastische hinübergerissen, wenn man nach und nach des Kranichs Kopfverdrehungen immer konvulsivische und seine Sprünge immer kollosaler werden sieht, bis sie zuletzt die Höhe des Hauses erreichen, und er endlich die, bisher nur den Takt schlagenden Flügel ganz entfaltend, statt eines Possereißerss, der er war, nun wie ein majestätscher Geist, weit über die höchsten Spitzen der Fichten hinauf sich in den Wolken verliert.
       Wenn ich aber vollends die Rehe an einem duftenden Frühlingsmorgen in ihren Liebespielen belausche, und die süße Zärtlichkeit, die unnachahmliche Grazie und Innigkeit aller ihrer Bewegungen bewundern muß, da kommt mir so oft fast das Weinen nahe, und ich werde so fromm, daß es mir das Herz zersprengen möchte; eine Stimmung, in die, aufrichtig gesagt, mein Beichtvater weit mehr Mühe hat mich zu bringen, als diese unvernünftigen Tiere.

Pücklers Pferde